ROM Album

A-Seite
1 Buhmann
2 Mitten im Kanal
3 D-Zug fahrn
4 Marabu
(alle Kerbach/Rom)

B-Seite
5 Sonne lacht (Schittkowski/Rom)
6 Erotika (Füchsel/Gohlke/Rom)
7 Alle Tage (Goß/Schittkowski/Rom)
8 Übern Fluss (Kerbach/Schleime)

Label: Rundling RL 27
© 2022

Produziert von Jörg Schittkowski und Wolfgang Grossmann
Gestaltung: Torsten Füchsel
Fotos: Wolfgang Grossmann

Review Vinyl Keks

Ein absolut simples Cover soll doch bitte überzeugend genug sein, dich zum Kauf zu bewegen. Was soll ich also noch schreiben?
Das so total großartige Verrückte ist ja, wenn man Musik reinbekommt, von der man niemals erwarten würde, dass sie überhaupt existiert. In diesem Fall haben sich etwas mehr als eine handvoll Menschen aufgemacht eine Platte rauszubringen, die “Rom” gewidmet ist. Die Band heißt: der Schlagzeuger von Zwitschermaschine.
Ich versuche mal in kurzen Worten zusammenzufassen: 1983 ist bei Aggressive Rockproduktionen eine Split LP namens  “DDR von unten” erschienen. Wenn ich alles richtig verstehe, korrigiert mich bitte, falls etwas nicht stimmen sollte, sind nicht alle Tracks der Band Vierte Wurzel aus Zwitschermaschine auf der West-Version gelandet. Auch wurde die Band nur als Zwitscher-Maschine betitelt. (Mir) Bekannt geworden ist die Scheibe wohl durch die Band Sau-Kerle, Deckname der Band Schleimkeim.
Wieso ist das interessant? Doch nicht allein wegen des schlichten Covers?
Nein, es ist tatsächlich ein sehr professionell aufgenommener Versuch, Fragmente aus Songs die Anfang der 80er-Jahre geschrieben wurden, wieder zusammen zu setzen und gemeinsam aufzunehmen. Der Tod des Autors, Dichters und Sängers Michael Rom liegt lange zurück. Er ist 1991 bei einem Raubüberfall vom Täter erschossen worden. Was eine tragische Geschichte. Wolfgang Grossmann, der Drummer der Band damals, wie heute, hat den Nachlass von Michael Rom “will nicht zu den großohrigen Elefanten.” 2018 herausgebracht. Was wohl auch der Anlass gewesen sein wird, sich seiner Texte (und Musik) wieder anzunehmen.

Zurück in die Zukunft. 2020 macht sich Wolfgang Grossmann auf und schart einige der Mitstreiter aus der damaligen Zeit um sich, und auch Peter Hein, seines Zeichens Sänger der Band Fehlfarben. Sie setzen Stücke der Art-Punkband Zwitschermaschine wieder zusammen, machen daraus Tanzmusik, aber beleben auch Performance-Stücke wieder zu musikalischem Leben.

Jörg Schittkowski, Peter Hein, Wolfgang Grossmann

Und ich komme langsam an den Punkt, wo mir die Erklärerei echt zu geschichtlich wird. Trotzdem wichtig und interessant, keine Frage! Das macht die ganze Platte wirklich spannend!
Wie ist denn nun die Musik, die ja das Wichtigste ist, auf diesem schönen Stück Vinyl?Die Band schafft es, die musikalische Zeit Anfang der 80er wieder aufleben zu lassen. Das reduzierte, die kalte Melancholie, das manchmal Trostlose: Volltreffer!
So eingängig dann die Musik oft ist, umso irrender sind die Texte. Keine Parolen, beispielsweise entsteht aus dem Song “Marabu” ein Spoken Word. Für mich ist der Übergang fließend und die Seite endet. Ihr merkt sicher, wie ich diese Worte nun schreibe, ein wenig suchend lässt mich diese Musik zurück. Es ist wohl das, was die Protagonisten dieser Stücke auch bezwecken. Die beiden anschließenden Gedichte heißen “hat man dir schon gesagt dass du frei bist” und “höre, was neu im Land geschehen ist”.
Jede Stimme gibt es mal zu hören, die Abwechslung ist in jedem Instrument, in jeder Stimme.

Auf der zweiten Seite kommt mein Anspieltipp “Sonne lacht”, ganz großartiger Song, der hart den Geist der 70er Jahre atmet. Sehr rockig, um danach im Song “Erotika” wieder komplett in einer düsteren Proberaum-Atmosphäre gebrochen wird.
Die Platte erschien bei Rundling, einem doch recht speziellen Label, welches sich wohl auch um die abwechslungsreiche, phantasievolle, umkämpfte sowie interessante Punk-Zeit in der DDR bemüht. Hier ein tolles Interview mit Macher Stephan.

Fazit: die zweite Seite empfinde ich als maximal spannend, “übern Fluss” ist ein ganz irres, gejammt wirkendes Stück, was einen exzessiven Ausbruch am Ende erleben darf. Es folgt noch “alle Tage” und noch ein nicht gekennzeichneter Spoken Word. Dada, Nonsens, übertrieben gepitchter Gesang, seltsam zusammengewürfelte Worte, Avantgarde!
Zwischen New Wave, Punkrockdüsternis und Spoken Word also alles auf einer abwechslungsreichen Platte!

Die Frage, die ich mir stelle ist, wie kann man sich fast 40 Jahre später an einzelne Riffs oder Songkonstruktionen erinnern? Es war ja, bekanntermaßen, nicht gerade leicht in ein Studio zu gehen, geschweige denn, ein eigenes Aufnahmegerät zu besitzen!
Totale, unbedingte Kaufempfehlung, Außergewöhnlich und gut!
180 Gramm Vinyl, mit Textbeiblatt.

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