ROM

Die Suche nach Rom

Mit dem Tod von Michael Rom und dessen Verschwinden unter einem Grabstein ohne seinen Namen galt auch dessen Werk als verschollen. Alle Vorzeichen für das Vergessen eines Genies sind gegeben. »Zwar wurde immer mal wieder darüber gesprochen, den Nachlass von Michael zu suchen, aber das war immer so eine Art Gelaber«, erinnert sich Wolfgang Grossmann. »Eines Tages meinte ein Kollege zu mir, ich wäre auch nur so ein Laberarsch. Das wollte ich mir nicht noch einmal sagen lassen.«

Also macht sich Grossmann daran, Roms Texte zu finden. Erste Ideen sind drei Ex-Frauen, der Kleinzschachwitzer Rosenlöcher-»Dunstkreis« und die Stasi-Unterlagenbehörde. Auch Elke Erb steht auf der Fahndungsliste. Auf einer Vernissage spricht der Rom-Forscher die Schriftstellerin an, erkärt ihr, was er sucht. »Sie sagt nur: Da muss ich mal in meinem Keller nachsehen; hier ist meine Privatnummer, rufen Sie mich in zwei Monaten an«, schildert Grossmann die Begegnung. Er ruft an – und Elke Erb hat etwas gefunden: Eine Pappkladde mit Texten für die Antholgie »Berührung ist nur eine Randerscheinung«. Auf der einen Seite fand sich eine Zeichnung, hinten drauf die Zeile »will nicht zu den großohrigen elefanten afrika safari michael rom«. Gedichte, Stücke, Liedtexte. Ein Schatz. Auf dem heimischen Schreibtisch lässt Wolfgang Grossmann das Material voller Aufregung zwei Wochen lang unberührt strahlen.

Mit Unterstützung des Verlegers Christoph Links kann Grossmann auch Unterlagen in der Stasi-Behörde einsehen. Eine anstrengende Erfahrung, weil man mehr erfährt als man eigentlich wissen will. Michael Rom hatte man vor allem wegen seiner zwei Ausreiseanträge im Visier. Als sein erster Antrag nicht beantwortet wird, schreibt er einen bemerkenswerten Brief an den Rat des Stadtbezirkes der Stadt Dresden: »Es wird alles getan, um den Menschen gleichzurichten im Denken und Fühlen. Aus diesem Grunde sind banausische Apparate erfunden worden, die sich aller Kunstmittel bedienen, aber nicht der Kunst. Nicht das Verbrechen des Einzelnen beunruhigt unsere Zeit, das Übel heißt Organisation«, heißt es da unter anderem. Wie tragisch, dass es ausgerechnet das Verbrechen eines Einzelnen war, das Rom Jahre später den Tod brachte. Nur aus rein formalen Gründen entging er in der DDR einem Verfahren wegen Staatsverleumdung. Ein Beifund in den Mielke-Akten: Ein Tape aus dem Wohnungsstudio des Dresdner Spitzen-Spitzels Sören »Egon« Naumann (Deckname: Michael Müller). Das Studio hatte die Stasi ihrem IM mit 8.000 DDR-Mark finanziert, aus dem alles Aufgenommene direkt weitergeleitet wurde. Auf der Kassette liest Michael Rom »Wie Matthieu sein Spiegelbild verliert und anstatt dessen seinen Zwillingsbruder wiederfindet«, ein Stück in sechs Bildern. Auf der Rückseite des Bandes: Versehentlich aufgenommene Privatgespräche der Horch-und-Guck-Brigade – die Banalität der Bösen. Für Grossmann beginnt das große Abtippen von Blättern und Kassetten, redigieren, editieren, korrigieren.

Aus dem Elke-Erb-Material, Funden bei anderen Personen und Behörden sowie dem Dokument einer Rom-Lesung von 1987, in der der Dichter seine Texte als »lyrische Bilder« bezeichnet, formt sich ein Buch, das Wolfgang Grossmann 2018 herausgibt unter dem Titel »will nicht zu den großohrigen elefanten«. Auf dem Titel ein Foto von Michael Rom, das einen nicht glauben lassen will, dass der Mann tot ist. Die Sammlung ist ein Fest der Wortkunst jeglicher Form – Drama, Leben, Tod, Liebe, Weltblick, Weitblick.

höre was neu im land geschehen ist
zwei drei vier
fische sterben in dem teich
blumen sind geknickt auf der heide
die sonne scheint doch für beide
man hat es dir gesagt
alle lieder über die freude und das leid in unserer zeit
was so traurig ist
es liegt ungewiss am rande der welt
immer hat man dir gesagt
das schwache kommt nie zum großen start
die neue art
es ist der verlierer am start
fluss zwischen mir und dir
der fluss teilt das land
und gibt ihm kraft
als es noch keine menschen gab
da habe ich schon einmal gelebt
und zwar als kleines tier
als es noch keine menschen gab
da war das land schön im inneren frieden
ein fluss sagt der trennung unfassbares weh
als treibholz bist du nicht geboren
als treibholz wirst du nicht sterben
als treibholz darfst du nicht leben
ich bin nur der clown der zeit
habe ein wägelchen das ich ziehe
durch den staub der zeit
es ist nicht beladen
denn ich habe nichts für die zeit.

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