
Der lange Weg zu Rom
Es ist ein Grab, um das sich heute wohl kaum noch jemand kümmert. In Klein-Breese, einem Teil des Örtchens Breese in der Prignitz bei Wittenberge, ist es auf einem kleinen Friedhof zu finden. Die Namen Friedrich und Ingeborg Rom finden sich auf dem Stein, kein Hinweis auf den dritten, der hier unter der Erde liegt: Michael Rom, der Dichter, Sänger, Bohemien, Sohn von Friedrich, Stiefsohn von Ingeborg (Michael Roms leibliche Mutter starb vier Tage nach seiner Geburt im Juli 1957).
Längst vergessen wäre der Poet Michael Rom, wenn nicht der Schauspieler und Musiker Wolfgang Grossmann den wohl wichtigsten Teil des Wort-Schatzes gehoben, ja gerettet hätte. Und damit auch ein wichtiges Kapitel Dresdner Kulturgeschichte der beginnenden 1980er-Jahre. Schließlich waren Rom und Grossmann gemeinsam Teil des Musik-Kunst-Projektes Zwitschermaschine, das eine kurze Zeit für Aufsehen und Rabatz im DDR-Underground sorgte. Überzeugen konnte man sich davon am 18. September 2021 in der Theaterruine St. Pauli, als das Album, auf dem von Rom getextete Songs neu interpretiert werden, seine Live-Aufführung feierte. Nun ist das Projekt am 18. Oktober wieder in der Stasi-Gedenkstätte Bautzner Straße neu erleben, wo das Societaetstheater zur Zeit spielt.
Furiose Jahre im DDR-Underground
Redet man über Zwitschermaschine, kommt schnell die Schubladendiskussion auf: Was war das eigentlich? »Wir waren keine Punkband«, sagt Wolfgang Grossmann, »die Hardcore-Punks meinten, das wäre kein Punk, und das stimmt auch. Auf der Platte steht ja auch ›Neue Musik‹.« Die Band Zwitschermaschine entstand zunächst als Duo von Ralf Kerbach und Cornelia Schleime. Beide studierten in den 1970er-Jahren an der Dresdner Kunsthochschule und lernten über einen kuriosen Umweg Michael Rom kennen. Der arbeitete 1978 nach einer Lehre als Instandhaltungsmechaniker unter anderem im Heimatmuseum von Radeburg, wo er wiederum an der Organisation einer Ausstellung beteiligt war, bei der auch Schleime und Kerbach Werke zeigten. Die Exposition war für die Künstler eine furchtbare Erfahrung, an der Hochschule wuchsen die Probleme. So war Ralf Kerbach und Cornelia Schleime bald klar, dass sie zwar malen, aber wohl nicht mehr ausstellen konnten. Deshalb erschien die Musik eine neue und direktere Ausdrucksform zu sein. Kerbach lärmte Gitarrennoise, Schleime brüllte ins Mikro.
Zunächst blieb das 1979 gegründete Projekt namenlos, nach kurzer Zeit kamen Matthias Zeidler, ein Schulfreund von Kerbach, am Bass und Michael Rom als zweiter Sänger und Dichter hinzu. Fünfter im Bunde wurde Sascha Anderson, der mit Kerbach und Schleime schon jahrelang befreundet war, sechster schließlich Wolfgang Grossmann. Der Schauspieler wohnte damals zusammen mit Michael Rom in einer großen Wohnung auf der Schweriner Straße und hatte etwas Drum-Erfahrung. Zwar gab es auch bisher Schlagzeuger bei Zwitschermaschine, doch diese waren zu sehr Jazz oder zu experimentell. Also lud Rom seinen Mitbewohner in die Band ein. Jeden Dienstag wurde im Kerbach’schen Atelier geprobt, nur eigene Stücke – immerhin hatte man mit Schleime, Rom und Anderson gleich drei Wort- und Stimmgewaltige in der Band. So entstanden 22 Songs, gesungen jeweils von den Dichtenden. Nie trug einer von ihnen den Text eines anderen vor oder begleitete diesen instrumental.
Schnell zogen die rar gesäten Auftritte die Underground-Szene aus Musik und Kunst an. Es waren zwei furiose Jahre mit illegalen und halblegalen Konzerten, oft in Galerien oder Ateliers zwischen Dresden und Berlin. Dass die Staatssicherheit drum herum allezeit dabei war und eingriff, wusste man, dass sie in der Person von Sascha Anderson auch mitten in der Band hauste, natürlich nicht. Aber der Clash aus Rock mit Punk-Attitüde sowie dadaistischer Performance und großartigen Lyrics war schlichtweg einzigartig. Dass die Stasi einerseits Druck aufbaute und durch Anderson aber auch die Hand drüber hielt, war eine abartige Besonderheit von DDR-eigener Kultur- und Überwachungspolitik. Denn unter dem Auge des Geheimdienstes knüpfte Anderson Westkontakte, auch um dort eine Platte zu veröffentlichen. Doch bevor das gelang, musste Bandgründer Ralf Kerbach 1982 die DDR gen Westberlin verlassen, wo er wieder als Künstler arbeiten konnte.



